Zu Gast im evangelischen Mädchenheim Gernsbach

Der lange Lockdown durch Corona, Homeschooling und Homeoffice mit der gesamten Familie unter einem Dach, das alles hat viele Familien an ihre Grenzen gebracht. Sorgen über mangelnde soziale Kontrolle durch Schulen und Vereine, die Kinder in gefährdeten Situationen im Auge haben treiben auch mich um. Wie kann Familien in solch außerordentlichen Drucksituationen geholfen werden, unter welchen Bedingungen arbeiten Institutionen in der Pandemiezeit weiter und mit welchen Schwierigkeiten haben sie zu kämpfen? Das wollte ich im Rahmen seiner Sommertour bei einer informativen Gesprächsrunde von der Einrichtungsleiterin des evangelischen Mädchenheims in Gernsbach Ute Zächelein, ihrer Stellvertreterin Stefanie Franz und dem Vorsitzenden des Verwaltungsrats Michael Schmidt wissen.

Bedingt durch die Corona-Einschränkungen war ein Treffen nur im Mehrzweckgebäude möglich, das Gebäude mit den Wohngruppen wird aktuell noch von Besuchern frei gehalten. So waren auch die Lage während des Lockdowns und die aktuelle Situation in der Einrichtung die Hauptthemen unseres Gesprächs. „Wir haben das Glück ein großes Gelände zu haben, sonst wäre sicherlich einiges schlechter gelaufen“, resümierte Ute Zächelein die Phase des Ausgangsverbots und der Schulschließung, von der die 30 Bewohnerinnen betroffen waren. Doch es gab auch Kritik von Seiten der Einrichtungsleitung, denn die pädagogischen Fachkräfte, die nun neben der Betreuung nachmittags auch die Vormittage gestalten mussten, waren nicht als systemrelevantes Personal eingestuft worden, weshalb sie zunächst für ihre eigenen Kinder keine Betreuungsmöglichkeit hatten. „Zwar wurde nach einiger Zeit nachgebessert und wir konnten mit einer Bescheinigung unserem Personal helfen, aber es ist dennoch sinnbildlich für die Situation in der Kinder- und Jugendhilfe,“ erläuterte mir Ute Zächelein.

Ich war sehr beeindruckt, wie das gesamte Team die 12 Wochen ohne Außenkontakt gemeistert hat. Das war auch eine sehr große Koordinationsleistung der pädagogischen Fachkräfte, die nach der Schulöffnung die unterschiedlichen Unterrichtsformate von sieben Schulen mit ihren Schützlingen im Auge behalten mussten.

Leider habe man tatsächlich von zwei Gernsbacher Schulen Nachfragen erhalten, die Betreuungsplätze für Kinder suchten, die schlecht aus der Homeschooling-Zeit hervorgekommen waren, musste mir Frau Zächelein auf meine Frage nach einem höheren Bedarf bestätigen. Befürchtungen vieler Experten scheinen sich daher leider zu bewahrheiten.

Dass die Kinder- und Jugendhilfe stärker in den Fokus rücken muss, haben wir nicht erst durch die Corona-Pandemie gelernt – aber es wurde wieder einmal deutlich, dass hier mehr getan werden muss. Eckpunktepapiere und Verhaltensregeln kurz vor knapp reichen da nicht aus!

Zurzeit sei man dabei viele ausgefallene Neuvorstellungstermine nachzuholen erläuterte mir die Heimleiterin. Normalerweise laufe der Prozess dafür ab April an. Aber in diesem Jahr ist eben alles ganz anders. Man habe aktuell noch 26 Mädchen, denn geplante Auszüge seien schon erfolgt, einer auch um ein paar Wochen vorgezogen worden. Nun hängt man mit der Organisation coronabedingt hinterher und muss das in vielen Extrastunden Arbeit aufholen, denn von der Belegung des Heims hängt natürlich auch die Wirtschaftlichkeit ab.

Enttäuscht waren alle Gesprächspartner darüber, dass an kaum einer der sieben Schulen, mit denen das Heim zusammenarbeite eine sogenannte Lernbrücke angeboten wird. Diese sollte Kindern mit Nachholbedarf aus den vergangen Schulwochen den Anschluss an den Lernstoff ermöglichen. Das ist für die Kinder dramatisch, denn viele sind auf der Strecke geblieben. Dass das Kultusministerium so tut, als wäre es überhaupt kein Problem mit den vorhandenen Lehrern den Personalbedarf zu decken ist blauäugig. Die Forderung der SPD nach zusätzlicher Einstellung von qualifizierten Nachhilfelehrern wurde ignoriert und wäre für viele Kinder doch so dringen notwendig gewesen!

Ein Rundgang über das Gelände, ohne die Besichtigung der Wohn- und Betreuungsräumlichkeiten, rundeten meinen Besuch in Gernsbach ab. Ich bedanke mich recht herzlich bei allen Beteiligten, dass sie sich die Zeit genommen haben.